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AutorenbildHans-Jürgen Heck

Wir fahren nur auf Sicht…



Zwei große Ereignisse haben uns in den beiden vergangenen Jahren schonungslos vor Augen geführt, dass wir in Deutschland eigentlich oft nur auf Sicht gefahren sind, ja teilweise immer noch fahren.


Zuerst die Covid-Pandemie. Im März 2020 wurde uns mit einem Schlag klar, wie analog wir noch sind. Und das, obwohl es an Diskussionen und Ankündigungen um und zur Digitalisierung nie gefehlt hat. Immer wieder gab es Stimmen, die gemahnt haben, dass die Zettelwirtschaft abgebaut gehört und dass Schluss sein muss mit Faxen, jedenfalls mit den Faxgeräten.


Sicher, in Zeiten von Corona hat sich einiges geändert. Video-Calls ersetzen mittlerweile stundenlange Fahrten zu Meetings, die nur eine Stunde gedauert, aber(Fahrt)Zeit, Kraft und massenweise Sprit gefressen haben. Homeoffice war plötzlich nicht nur möglich, sondern teilweise sogar Pflicht.


Obwohl die Pandemie in Sachen Digitalisierung wie ein Brandbeschleuniger gewirkt hat, muss sich aber noch mehr tun. Noch immer gibt es massenweise Kommunen, von deren Internet-Seiten wir uns nicht einmal einen Antrag für einen neuen Personalausweis herunterladen können. Immerhin gibt es jetzt auch ein „Bundesministerium für Digitales und Verkehr“. Ob wir mit dem von den Liberalen geforderten eigenständigen Ressort, das die Digital- und Netzpolitik hätte dirigieren sollen, weiter wären…? Merwaas es ned, tät der Hesse sagen.


Bleibt zu hoffen, dass jetzt nicht weiter auf Sicht gefahren und etwa über den Glasfaserausbau weiter nur geredet, sondern endlich gehandelt wird…

Das zweite große Ereignis, das uns völlig unvorbereitet getroffen hat, ist der Überfall Russlands auf die Ukraine. Zur Wahrheit gehört, dass manche gewarnt haben, Putin werde ernst machen. Und die meisten es nicht geglaubt haben, nicht glauben wollten. Womit wir aber hätten rechnen müssen ist, dass unsere Bundeswehr einmal für das gebraucht wird, wofür sie gegründet wurde: für die Verteidigung des eigenen Landes und die Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen des nordatlantischen Verteidigungspaktes.


Von den Hauptwaffensystemen der Bundeswehr sind zurzeit nur 77 Prozent einsatzbereit. Dies steht im neuesten Bericht des Ministeriums zur materiellen Einsatzbereitschaft. Bei Operationen, die besonders hohe Ansprüche an Material und Besatzungen stellen, seien weniger als 30 Prozent der Kriegsschiffe "uneingeschränkt einsatzfähig". Von allen Hubschraubern der Bundeswehr sind nur 40 Prozent einsatzbereit. Das alles ist seit langem bekannt. Im Februar äußerte sich dazu der21. Inspekteur des Heeres, Alfons Mais sogar öffentlich: „ Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da. Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des NATO-Bündnisses anbieten können sind extrem limitiert“.


Mit dem Überfall auf die Ukraine und unter dem Eindruck schrecklicher Bilder konnte es dann auf einmal nicht schnell genug gehen: Bundeskanzler Scholz kündigte in einer Sondersitzung des Bundestages an, dass die Bundeswehr einmalig mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Zudem soll der Verteidigungsetat künftig zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Und wenn die Verteidigungsministerin dann irgendwann mal die Dienstgrade ihrer Armee gelernt hat, kann man vielleicht daran gehen, das wieder systematisch aufzubauen, was jahrelang kaputtgespart wurde. Ob das kurzfristig dem ukrainischen Volk das Überleben sichert…? Dazu bedarf es sicher anderer, ganz anderer Schritte.


Im Zuge des Überfalles auf die Ukraine hat uns ein weiteres Thema ereilt, das schon am 24. Februar, spätestens aber zwei Wochen später absehbar war. Eine Flüchtlingswelle,die jene von 2015 längst um ein vielfaches übertroffen hat. Längst hätte ein nationaler Krisenstab für die Koordination der Flüchtlingshilfe gebildet werden müssen. Ähnlich dem Corona-Krisenstab, vielleicht auch mit einem General an der Spitze, der sich auch traut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.


Geschieht das nicht, ist ein Chaos absehbar. Dazu ein Beispiel: Sechs vollbesetzte Busse mit Geflüchteten aus der Ukraine sollten in der vierten Kriegswoche von Berlin kommend die Landkreise Dillingen und Donau-Ries erreichen, doch letztlich kam nur einer. Ehrenamtliche Helfer und Mitarbeiter von Behörden warteten, so der Bayerische Rundfunk, stundenlang umsonst. Informationen gab es keine - das habe für Frust gesorgt.


Auch die baden-württembergische Migrationsministerin Marion Gentges beklagte die Missstände, so die F.A.Z., kürzlich in einem Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser: Seit Kriegsbeginn sei an keinem Tag die Zahl von Flüchtlingen eingetroffen, die vom Bund angekündigt worden sei. Ehrenamtliche Helfer seien frustriert, Ressourcen würden verschwendet.


Aus dem bayerischen Innenministerium hieß es laut BR dazu, die Flüchtlinge würden von der Bundesregierung auf die Länder verteilt. Bei der konkreten Busplanung setze der Bund allerdings auf Freiwilligkeit – die Flüchtlinge könnten wählen, wohin sie wollten.

Das wird so nicht funktionieren, jetzt nicht und schon gar nicht, wenn das kommt, was Außenministerin Baerbock erwartet: acht Millionen Flüchtlinge, von denen schon mehr als zwei Millionen in Polen angekommen sind. Auch Deutschland wird also mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen und kann nicht immer erst dann reagieren, wenn sie schon in Berlin am Bahnhof stehen. Wir können hier nicht auf Sicht fahren, sondern wir müssen uns vorbereiten. Und das schnell. Sehr schnell…


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